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Rumänien: Eine Momentaufnahme von Wäldern mit riesigem Naturpotential

Die PRIMOFARO-Studie: eine Bewertung von Rumäniens wertvollen Natur- und Urwäldern. Ein Statement der EuroNatur-Stiftung.

Von den Ur- und Naturwäldern, die heute noch in der EU existieren, befinden sich einige der größten und wichtigsten in Rumänien. Dass sie bisher der Nutzung durch den Menschen entgangen sind, verdanken sie meist ihrer schwer zugänglichen Lage. Diese Wälder verdienen auf der Grundlage solider wissenschaftlicher Daten strengen Schutz. Solche Wälder sind in der Europäischen Union selten, aber es gibt sie noch.

Aktuell läuft in der EU eine Debatte, in der die Bedeutung eines strengen Schutzes intakter Ökosysteme anerkannt wird und gemeinsame Zielsetzungen für einen solchen Schutz verhandelt werden. Im Berichtsentwurf der Biodiversitätskonvention (CBD) über den weltweiten Rahmen für die Bewahrung der Biodiversität nach 2020 wird vorgeschlagen, im Laufe des kommenden Jahrzehnts 10% der Landfläche Europa’s zu Nullnutzungsgebieten zu erklären. Rumänien befindet sich in der einzigartigen Lage, dieses Ziel zu erreichen, indem es die Gebiete schützt, die ohne Unterbrechung – über hunderte oder gar tausende Jahre – bis heute ihre Naturwerte bewahrten: die intaktesten Ur- und Naturwälder unseres Kontinents.

Eine Voraussetzung dafür ist eine genaue Kenntnis der Standorte dieser Wälder. Jahrzehntelang wurde vage die Existenz, den Umfang und die Lage der intakten Wälder Rumäniens debattiert. Dennoch wurde bisher kein ökologisch begründeter wissenschaftlicher Konsens erzielt.

Ein Grund dafür ist, dass der Gegenstand der Betrachtung ständigen Veränderungen unterworfen ist: Rumäniens naturnahe Wälder werden in hohem Tempo gefällt und zerstört. Niemals wurde ein nationales Abholzungsmoratorium für umstrittene Waldgebiete erlassen, was die Konsensfindung weiter erschwert. Das muss sich ändern.

In diesem Kontext ist die 2019 von EuroNatur veröffentlichte PRIMOFARO-Studie ein Versuch, die aktuelle Situation abzubilden, und die Wälder zu verorten, die das größte ökologische Potential (eben als potenzielle Ur- und Naturwälder) aufweisen. Die Studie identifiziert die Wälder, die mit großer Warscheinlichkeit ein hohes Maß an Natürlichkeit aufweisen, und stellt sie jenen gegenüber, die in jüngerer Vergangenheit bewirtschaftet, degradiert oder abgeholzt wurden.

Dabei geht die PRIMOFARO-Studie über die sehr einschränkende und wissenschaftlich problematische rumänische Definition von „Urwäldern“ hinaus und bewertet Rumäniens Wälder ganzheitlich aus der Perspektive der Verpflichtungen zum Schutz der biologischen Vielfalt, einschließlich der CBD, der IUCN und der EU-Naturschutzrichtlinien. Die Limitationen der Studie, die auf einer visuellen Analyse von Luftbildern mit einer entsprechenden Fehlerquote basiert, werden selbstkritisch und transparent beschrieben – und die Autoren rufen explizit zu weiteren Validierungsschritten auf.

In Anerkennung der nationalen und internationalen Klima- und Naturschutzverpflichtungen bietet die PRIMOFARO-Studie den Politikern und Entscheidungsträgern ein umfassendes Werkzeug, mit dem die Zielerreichung bewertet werden kann.

EuroNatur und ihre Partner halten ihr jahrelanges Engagement für den Schutz von Rumäniens Paradieswäldern weiterhin hoch.

Wir rufen die rumänische Regierung auf, rasch folgende Schritte zu ergreifen, um den dauerhaften Schutz dieser ökologisch extrem wertvollen Wälder zu gewährleisten:

• sicherstellen, dass sich die Regierung in die Debatte um die Wälder in Rumänien in wissenschaftlich fundierter und transparenter Weise einbringt

• ein sofort wirksames Abholzungs-Moratorium in allen potentiellen Ur- und Naturwäldern erlassen, das auch die in PRIMOFARO und anderen wissenschaftlichen Studien erfassten Waldgebiete mit einschliesst

• eine wissenschaftliche Bestätigung des Umwelt- und Naturschutzwerts dieser Wälder in Bezug auf die nationalen und internationalen Biodiversitäts- und Klimaschutzziele und -verpflichtungen ermöglichen

• die bestehenden Schutzgebiete so ausweiten, dass sie alle Ur- und Naturwälder einschließen, und den strengen Schutz dieser Wälder sicherstellen

 
Noch gibt es ausgedehnte Ur- und Naturwälder in den rumänischen Karpaten…
…doch  Abholzungen zerstören die Paradieswälder im Eiltempo.

Schutz der Urwälder in Rumänien wird völlig vernachlässigt

++ Neuer Bericht zeigt: Riesige Urwaldgebiete werden nicht im „Nationalen Katalog der Urwälder“ registriert ++ Behörden blockieren oder „verlieren“ Studien über Urwaldgebiete und vereiteln so deren Schutz  ++

Das Versäumnis der rumänischen Regierung, die verbleibenden Urwälder des Landes zu schützen, wird in dem heute von Agent Green und EuroNatur veröffentlichten Bericht „Failing our Last Great Forests“ deutlich.


Der Bericht analysiert Daten im Zusammenhang mit Rumäniens „Nationalem Katalog der Urwälder“ und deckt klare Pflichtverletzungen und Misswirtschaft auf, die direkt zur Abholzung der wertvollen Urwälder Rumäniens geführt haben. Bisher wurden durch den nationalen Urwaldkatalog nur 30.062 Hektar geschützt – Zielvorgabe waren ursprünglich 400.000 Hektar. Agent Green und EuroNatur schätzen, dass seit 1999 mindestens 110.000 Hektar wertvoller Wälder verloren gegangen sind.

„Dieses Versagen des staatlichen Naturschutzes ist kein Zufall. Es zeigt den klaren Mangel an politischem Willen auf Kosten der letzten großen Wälder Europas – und das direkt vor unseren Augen. Von den wenigen geschützten Wäldern sind viele das Ergebnis unserer Protestbewegung in den Bergen von Semenic und Tarcu“, sagt Gabriel Paun von Agent Green.


Der Bericht enthüllt Einzelheiten zu 24.260,56 Hektar Urwäldern. Nichtregierungsorganisationen und wissenschaftliche Einrichtungen, die von der Regierung genau dazu eingeladen wurden, haben Studien zur Qualität der Wälder verfasst. Diese Studien wurden beim zuständigen Ministerium eingereicht, damit die Urwälder in den Nationalen Katalog eingeschrieben werden. Das schockierende Resultat: 80 Prozent dieser eingereichten Studien wurden entweder abgelehnt, blockiert, zur Überarbeitung zurückgegeben oder von den Behörden in verschiedenen Phasen des Prozesses sogar verloren. Den Urwäldern wurde somit der Schutz im Katalog verwehrt.

Übersichtstabelle:

Wissenschaftler haben zur Erstellung der Studien über lange Zeiträume mühsame Forschung betrieben und oft an abgelegenen Orten mit erheblichen Kosten gearbeitet, um die schützenswerten Wälder zur Aufnahme in den Urwaldkatalog einzureichen. Dass ihre Studien sogar von rumänischen Beamten verloren wurden, zeigt das Desinteresse der Behörden am effektiven Schutz der Urwälder ihres Landes.

Die Korrespondenz mit rumänischen Beamten hat eine erhebliche Differenz in der Anzahl der eingegangenen und anerkannten Berichte zwischen verschiedenen Regierungsstellen ergeben. Das Umweltministerium gibt an, nur Studien für 42 Waldgebiete mit einer Fläche von 9.382,70 Hektar erhalten zu haben. Der rumänische Forstdienst bestätigt allerdings die Annahme von Studien für 105 Gebiete mit einer Fläche von 24.260,54 Hektar. Für die inkonsistenten Daten gibt es bisher keine Erklärung.

„Wir haben es in Rumänien mit einem Bermuda-Dreieck-Syndrom zu tun. Die Urwälder verschwinden. Zum Beispiel wurden die alten Wälder von Coltii Balei im Landkreis Buzau ursprünglich als Teil des Katalogs akzeptiert. Dies wurde den Erstellern der entsprechenden Studien so mitgeteilt. Offiziell wurden sie aber nie in den Urwald-Katalog aufgenommen“, fügte Paun hinzu.


„Das Prüfverfahren für den ‚Nationalen Katalog der Urwälder‘ waren unprofessionell und wurden schlecht verwaltet. Die letzten großen Ur- und Naturwälder Europas verdienen ein Höchstmaß an Schutz. Schnelles Handeln ist von entscheidender Bedeutung. Doch bürokratische Hürden und schwerwiegende Misswirtschaft lassen einen systembedingten Mangel an Sorgfalt und Ernsthaftigkeit hinsichtlich des Schutzes des einzigartigen Walderbes Rumäniens erkennen“, sagte Gabriel Schwaderer, Geschäftsführer von EuroNatur.


EuroNatur und Agent Green fordern das rumänische Umweltministerium auf, alle verbleibenden Ur- und Naturwälder unverzüglich zu schützen. Die EU hat bereits ein Vertragsverletzungsverfahrens gegen die rumänischen Behörden wegen illegalen Holzeinschlags in seinen Natura 2000-Gebieten eingeleitet – diese Beschwerde wurde ebenfalls von EuroNatur und Agent Green eingereicht.

Hintergrundinformationen:
Der Bericht „Failing our Last Great Forests“ ist hier zu finden: LINK

Der PRIMOFARO-Bericht (Natur- und Urwaldgebiete Rumäniens) von EuroNatur und Agent Green zeigt, dass Rumänien immer noch mehr als 525.000 Hektar potenzielle Natur- und Urwälder beherbergt, mehr als jeder andere EU-Mitgliedstaat (außerhalb Skandinaviens).

Boia Mica ist eines der wildesten Gebirgstäler Europas. Trotzdem wurde es bisher nicht in den „Nationalen Katalog der Urwälder“ aufgenommen …

EU ergreift rechtliche Schritte gegen Rumäniens Behörden wegen illegaler Abholzungen der letzten Urwälder Europas

EU Kommission ergreift rechtliche Schritte gegen Rumäniens Behörden wegen illegaler Abholzungen der letzten Urwälder Europas

Die Europäische Kommission veröffentlichte heute ihre Entscheidung, rechtliche Schritte gegen Rumänien einzuleiten, da es dessen Behörden systematisch und dauerhaft unterlassen, die letzten Naturwälder Europas ausreichend zu schützen.

Diese Schritt folgt einer im vergangenen Jahr bei der Europäischen Kommission eingereichten Beschwerde, in der die Umweltschutzorganisationen Agent Green, ClientEarth und EuroNatur gegen die fortschreitende und vorsätzliche Zerstörung zehntausender Hektar geschützter Alt- und Urwälder in Rumänien.

Die Organisationen brachten vor, dass Rumäniens Staatsforste Romsilva in geschützten Natura 2000-Gebieten Kahlschläge durchführen, ohne die ökologischen Auswirkungen auf diese  einzigartigen Gebiete angemessen zu prüfen. Der Verstoß gegen EU-Recht besteht daher in der Nichtdurchführung adäquater und strategischer Umweltprüfungen vor der Bewilligung von Fällungen in Schutzgebieten, unzureichender Durchführung von Naturverträglichkeitsprüfungen (nach Habitat-Richtlinie) sowie in mangelndem Zugang zu relevanten Umweltinformationen.

Die Umweltschutzorganisationen begrüßen daher die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens gegen Rumänien als neuen Hoffnungsschimmer für den Schutz der sehr wertvollen Naturwälder des Landes, die zu den größten der EU zählen.

Die Anwältin Ewelina Tylec-Bakalarz von ClientEarth erklärt: „Die Waldzerstörung in Rumänien ist ein riesiges systemisches Problem weit größeren Ausmaßes als im Falle der illegalen Kahlschläge im polnischen Białowieża-Natura 2000 Gebiet, die wir vor drei Jahren zum Gegenstand einer Beschwerde machten. Die rumänische Regierung hat es wiederholt versäumt, ihre Verpflichtungen zum Schutz ihrer Wälder nach einer Reihe von europäischen Umweltgesetzen zu erfüllen. Mit der Eröffnung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Rumänien setzt die Europäische Kommission ein klares Signal, dass sie dieses Problem sehr ernst nimmt. Dies ist eine wichtige Warnung, dass Rumänien aufhören muss, seine gesetzliche Verpflichtung zum Schutz dieser einzigartigen Wälder so eklatant zu missachten“.

Gabriel Schwaderer, Geschäftsführer der Stiftung EuroNatur, meint: „Rumänien beherbergt immer noch gut 500.000 Hektar Ur- und Naturwälder, obwohl seit dem EU-Beitritt 2007 bereits riesige Flächen abgeholzt wurden. Natura 2000-Schutzgebiete sind sogar Hotspots der Abholzungen. Das EU-Recht wurde und wird weitgehend ignoriert. Das Einschreiten der EU-Kommission kommt daher in letzter Minute und wir rufen dringend dazu auf, den Prozess schnellstmöglich durchzuführen, da er die einzige wirkliche Chance ist, den letzten Rest von Europas großen Naturwäldern zu retten. Sie sind die Heimat von vielen gefährdeten Tier- und Pflanzenarten, und sie speichern enorme Mengen an Kohlenstoff.“

Gabriel Paun von Agent Green warnt: „Nehmen Sie als Beispiel einen einzigen Kahlschlag im Ausmaß von 3.700 Hektar im Natura 2000-Gebiet Maramureș, der Region, wo der Förster Liviu Pop kürzlich ermordet wurde. Das Gebiet ist größer als die Innenstadt von Brüssel und schaut aus wie ein Schlachtfeld. Wir haben in diesem Schutzgebiet zehntausende Hektar Kahlschläge dokumentiert, selbst in prioritär geschützten Lebensräumen mit Eschen- und Erlenbeständen. Diese Wälder waren die Heimat von Bären, Wölfen, Luchsen und vielen anderen Wildtieren. Es ist nicht zu fassen, dass mindestens 5 Millionen Festmeter Holz im Wert von mehr als 250 Millionen Euro einfach verschwunden sind, und das nur von jenen Kahlschlägen, die wir in diesem Gebiet dokumentiert haben. Dasselbe passiert aber auch in Făgăraș, dem beliebtesten Waldgebiet der Karpaten, und anderen Natura 2000-Gebieten. Diese Taten geschehen sowohl in staatlichen als auch in privaten Wäldern. Die Lage ist völlig außer Kontrolle.“

Agent Green, ClientEarth und EuroNatur begrüßen das Einschreiten der Europäischen Kommission und rufen die rumänische Regierung dazu auf,
1. unverzüglich die Einhaltung der EU-Naturschutzrichtlinien zu veranlassen,
2. alle verbliebenen potenzielle Alt- und Primärwälder laut der PRIMOFARO-Inventur in Natura 2000-Gebieten strengstens zu schützen,
3. auch die Alt- und Primärwälder außerhalb von Natura 2000-Gebieten unter wirksamen Schutz zu stellen und
4. Einschlagpläne und Bestandsaltersdaten aus allen Waldmanagementplänen von Natura 2000-Gebieten zu veröffentlichen.

Im Rahmen des heute gegen Rumänien eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens wegen illegalen Holzeinschlags in seinen Natura 2000-Gebieten ergreift die Kommission auch rechtliche Schritte wegen des Versäumnisses Rumäniens, die EU-Holz-Verordnung (EUTR) ordnungsgemäß umzusetzen, indem zugelassen wird, dass illegal geschlagenes Holz auf den EU-Markt gelangt.

Die rumänische Regierung ist jetzt verpflichtet, innerhalb eines Monats eine detaillierte Stellungnahme der Europäischen Kommission abzugeben. Die Kommission wird dann entscheiden, ob sie weitere Schritte unternimmt und den Fall vor den Europäischen Gerichtshof, das höchste Gericht der EU, bringen wird.

Hintergrundinformationen:

Rumänien beherbergt noch mehr als 525.000 Hektar potentieller Natur- und Urwälder – mehr als jeder andere EU-Staat außerhalb Skandinaviens. Die PRIMOFARO-Studie (PRIMary and Old-growth Forest Areas of Romania), eine Analyse durch EuroNatur und Agent Green, zeigt aber auch, dass die Waldzerstörung rasch voranschreitet.

Trotz aller Bemühungen rumänischer zivilgesellschaftlicher Gruppen, den illegalen Fällungen Einhalt zu gebieten, geriet die Lage in Rumänien immer weiter außer Kontrolle. Das offizielle staatliche Forstinventar zeigt, dass zusätzlich zu den 18 Mio. m³ legal entnommenen Holzes zwischen 2009 und 2013 weitere 8,8 Mio. m³ pro Jahr und zwischen 2014 und 2018 sogar 20,6 Mio. m³ pro Jahr eingeschlagen wurden.

Die Kommunikation der Europäischen Kommission zum Verfahren finden Sie: hier.

Riesenhafter Kahlschlag auf steilem Berggelände im südlichen Teil des rumänischen Natura 2000-Gebiets Fagaras Mountains.