Paradiesische Vielfalt

In Ur- und Naturwäldern stehen die Bäume nicht geordnet. Sie sind unterschiedlich dick, groß und alt. In den inneralpinen Lagen und auf den Höhen des „Ur Europas“ waren die Wälder von Fichten geprägt, in den Tief- und Hügelländern dominierten riesige Buchenwälder. Ja nach Standort wuschen auch Tannen, Eschen, Linden, Ahorn, Ulmen oder Eichen. 

Urwälder sind voller Gerüche: es duftet nach Pilzen, Holz, Laub, Krautpflanzen, Erde und Moder. 

Im Urwald wachsen riesige und kleine, junge und alte Bäume sowie verschiedene Arten meist üppig durch- und nebeneinander. Hier dürfen Bäume von alleine sterben. Der Formenreichtum ist eindrucksvoll: monumentale Altbäume, bizarre Baumleichen, knorrige Baumgestalten, Moosgebilde. 

Stehendes oder liegendes „Totholz“ dient als Nahrungsquelle und Heimstatt für viele Lebewesen wie Pilze, Insekten, Mikroorganismen oder Vögel. Viele dieser Arten kommen nur mehr in den letzten Ur- und Naturwäldern Europas vor.  Im Urwald gibt es keine Katastrophen – sondern nur immerwährende Veränderung.

Fagaras Natura 2000 Site, Romania - May 2016: Ancient forest and logging in the southern Carpathians.
Mächtige Buche mit markanten Wurzeln, Fagaras-Gebirge.

Das “Internet des Waldes”

Wälder verbinden den Himmel und den Boden. Sie bestehen nicht nur aus den sichtbaren, oberirdischen  Bäumen, sondern auch aus den weit verzweigten Wurzeln und dem vielfältigen Bodenleben. Wälder sind komplexe Netzwerke, an denen vor allem Bäume mit ihren Wurzeln und Pilze beteiligt sind.

In Ur- und Naturwäldern leben die Bäume in Symbiosen mit Pilzen, den sogenannten Mykorrhizapilzen. Sie liefern Nährsalze und Wasser und erhalten im Gegenzug von den Bäumen Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphate. Die Pilze tragen so zur Gesundheit eines Waldes bei. Wenn sie fehlen, etwa nach Kahlschlägen, schwächt das die Bäume. 

Manche Forscher gegen davon aus, dass die Wurzeln für Bäumen eine Art Gehirn bzw. Nervensystem sein könnten. Über die Wurzelgeflechte und Pilzfäden werden jedenfalls Nachrichten, wie etwa Warnungen, schnell verbreitet. Daher rührt der Begriff des „Wood Wide Web“. Bäume tauschen Informationen durch Gerüche, optische und elektrische Reize aus. In Urwäldern ist dieses faszinierende, evolutionär entstandene System intakt. 

Die Böden in ursprünglichen Wäldern sind oft tiefgründig und weich. Sie speichern gewaltige Mengen Kohlenstoff, mitunter mehr als die lebende Biomasse über der Erde.

SaveParadiseForests - Romania
WoodWideWeb. Boia Mica-Tal.

Letzte Rettungsinseln für bedrohte Arten

Europa wurde fast zur Gänze tiefgreifend von den Menschen verändert. Wo früher Natur sich selbst überlassen war, breitet sich heute eine Kulturlandschaft aus, die teilweise auch stark industriell verändert worden ist. Verkehrsinfrastruktur und Siedlungen bilden meist unüberwindliche Barrieren für „wilde“ Lebewesen. Für viele Arten bedeutet das den Verlust ihres Lebensraumes. Auch unsere Wälder sind in der Regel weit von ihren natürlichen Ahnen entfernt: In Wirtschaftswäldern wachsen überwiegend nur wenige, künstlich geförderte Ertragsbaumarten. Sämtliche „Urhölzer“, also sehr alte oder tote Bäume, wurden entfernt. Für Menschen störende oder von Menschen als bedrohlich empfundene Wildtiere wurden ausgerottet.

In den ökologisch verarmten Forsten können viele Arten – wie etwa totholz-gebundene Insekten oder Vögel – nicht mehr überleben.  Internationale und nationale Naturschutzprogramme wie die Biodiversitätsv-Konvention verfolgen das Ziel, die Artenvielfalt wieder zu fördern. Doch dafür braucht es – neben einer möglichst naturnahen Forstwirtschaft – auch ausreichend Gebiete, in denen der Mensch „loslässt“ und nicht mehr eingreift. Deshalb sind die letzten Urwaldgebiete von so großer Bedeutung.

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Totholz ist für viele Arten überlebenswichtig: Dreizehenspecht, Fagaras-Urwald.