Urwaldschutz

Begrenzte Wirkung: Bisherige Urwaldschutz-Maßnahmen in Rumänien

Es gab in den letzten Jahren mehrerere  Versuche des Gesetzgebers die verbliebenen Urwälder in Rumänien zu schützen. Allerdings haben alle diese gesetzlichen Maßnahmen bislang nicht zu ihrem ausreichenden Schutz geführt: Die Urwälder verschwinden in rasantem Tempo, besonders in Schutzgebieten. Regierung und Behörden schauen zu…

Die im aktuelle Regierung steht unter heftiger Kritik von Umweltschützern, den Urwaldschutz weiter aushöhlen zu wollen. Rumänische Politiker behaupten, die Ära der Waldzerstörung sei überwunden. Ein Blick auf Luft- und Satellitenbilder zeigt aber, dass dies keineswegs zutrifft.

Hier eine Chronik des Urwaldschutzes in Rumänien seit dem EU-Beitritt:

Das Rumänische Waldgesetz (2008):

Artikel. 26 (keine amtliche Übersetzung): Die Erhaltung der Biodiversität der Waldökosysteme impliziert Maßnahmen der nachhaltigen Bewirtschaftung durch intensive Bearbeitungsweisen, die die natürliche Regeneration der Arten  fördern, und indem sie Urwälder und Quasiurwälder bewahren.

In der Periode 2005 -2008 kam es zu katastrophalen Riesen-Kahlschlägen in etlichen Waldgebieten, wie etwa im Maramuresch Naturpark. 

Diese sehr vage Formulierung wurde 2015 in einer Version des Waldgesetzes geändert:

Artikel. 26 (3) Die Urwälder und Quasiurwälder werden streng geschützt und werden in den „Nationalen Katalog der Urwälder und Quasiurwälder“ aufgenommen, der durch die Zentrale Öffentliche Forstbehörde als Instrument für die Aufnahme und Verwaltung  der wertvollen Wälder aufgebaut wird. Um den außergewöhnlichen Wert anzuerkennen und den Schutz langfristig zu gewährleisten, werden die Urwälder und Quasiurwälder, entweder als UNESCO-Weltnaturerbe bzw. in wissenschaftliche Reservate aufgenommen und / oder sie werden in den streng geschützten Bereichen der National- oder Naturparks bewahrt.

Der Ministerialerlass Nr. 3397 (vom 10.09.2012) definierte die Kriterien und Indikatoren für die Identifizierung und den Schutz der Urwälder und Quasiurwälder.

Diese Verordnung legte fest, dass Urwälder und Quasiurwälder in den Waldbewirtschaftungsplänen in der funktionellen Kategorie 1.5o (Quasiurwälder) bzw. dem funktionellen Typ I – (TI, Urwälder) gruppiert werden – was  (theoretisch) bedeutet, dass eine Waldbewirtschaftung nicht mehr erlaubt ist.

Die Verordnung besagte auch, dass jene Urwälder, die im Rahmen der Studie „Inventar und Strategie der nachhaltigen Bewirtschaftung und des Schutzes der Urwälder in Rumänien – Project Pin – Matra / 2001/018 (durchgeführt von der Niederländischen Königlichen Gesellschaft für Naturschutz in Zusammenarbeit mit dem rumänischen Waldforschungsinstitut ICAS) identifiziert wurden, nicht mehr geerntet werden dürfen, auch wenn sie in den 10-Jahres-Managementplänen zur Holzernte vorgesehen sind. Holzentnahme ist nur mit einer Genehmigung der jeweiligen Forstinspektoren möglich, wenn diese feststellen, dass die Urwald-Kriterien nicht mehr erfüllt sind.

In anderen Worten: Der Ministerialerlass Nr. 3397 verbietet die Abholzung von Wäldern, die durch die Pin-Matra-Inventur als Urwälder identifiziert worden waren – es sei denn die Forstbehörde bescheinigt, dass der Urwald nicht mehr intakt ist.

Dieses Defacto-Moratorium wurde (und wird) aber fast überall im Land ignoriert. Ein Grund dafür war das bisherige Fehlen einer Kompensationsregelung für private Waldbesitzer. Etliche Eigentümer bekämpften die Schutzmassnahmen infolge vor Gericht und wehrten sich gegen die  vermeintliche „Enteignung“. Seit 2017 stehen erstmals staatliche Mittel für die Entschädigung von privaten Waldbesitzern zur Verfügung. Die Regelung ist aber kompliziert, widersprüchlich und die Mittel für streng geschützte Urwälder (funktionelle Kategorie T1) sind eng begrenzt.

Das De-Facto-Moratorium wurde und wird  auch von staatlichen Forstverwaltungen nicht beachtet. Im Frühjahr 2017 etwa gab die staatliche Forstverwaltung einen uralten Wald in einem bisher unberührten Tal mitten im Domogled – Valea Cernei Nationalpark  frei. Die Genehmigung wurde offiziell ausgestellt und im Internet veröffentlicht. Auf 50 Prozent der Fläche dieses Nationalparks wird mehr oder weniger brutale Forstwirtschaft betrieben. Ähnliches gilt für die meisten Nationalparks in Rumänien. Dabei gehen beständig wertvollste Ur- und Naturwälder unter den Augen von Regierung und Behörden verloren.  Die behaupten dann schlicht, dass es sich hier nicht um astreine Urwälder handelt – und fällen das Todesurteil. Die internationale Naturschutz-Union IUCN, die weltweit Nationalparks prüft und auszeichnet, hat Best-Practice-Kriterien für Nationalparks entwickelt: Mindestens 75 Prozent der Fläche müssen als „Kernzone“ streng geschützt sein. Im gesamten Nationalpark haben Naturschutz-Ziele  Vorrang, industrielle Naturausbeutung ist verboten. Diese Kriterien erfüllt in Rumänien kein einziger Nationalpark…

Fazit: die Urwald-Abholzungen gingen auch nach 2012 massiv weiter…

Brutale Abholzungen im Jahr 2016 mitten im Domogled – Valea Cernei Nationalpark.

Der „Nationalen Katalog der Urwälder und Quasiurwälder“ soll die Urwälder des Landes unter Schutz bringen, entwickelt sich aber nur sehr langsamen. Die Kartierungsarbeiten für den Katalog werden zur Gänze NGOs und freiwilligen Waldexperten überlassen. Die haben aber nur begrenzte Kapazitäten. Ein vorhandene staatliches Budget dafür wurde bisher nicht ausgeschüttet.
In der Zwischenzeit wird in vielen Urwäldern weiter geholzt…

Alle potenziellen Primärwälder, die für den Urwald-Katalog eingereicht werden, müssen durch Fachgutachten dokumentiert werden – die detaillierte Informationen über Waldökologie, Forstparzellen und Besitzer enthalten müssen. Sobald eine solche Studie an die örtlichen Forstbehörden übermittelt wird, tritt ein temporäres Abholzungs-Verbot für den betreffenden Waldstandort in Kraft. Dann wird die Urwaldverdachtsfläche durch eine behördliche Kommission geprüft.

Allerdings gibt es Berichten zufolge offenbar immer wieder Probleme mit dem öffentlichen Zugang zu diesen forstlichen Informationen. 2016 berichteten mehrere NGOs aund Experten, dass Forstverwaltungen und Forstbehörden nicht kooperierten. Infolge dessen konnten Urwald-Gutachten nicht rechtzeitig vor der Winterpause 2016 abgeschlossen werden (in der Zeit zwischen Oktober 2016 – Februar 2017 wurden von den Behörden keine Urwald-Gutachten angenommen). Diese Wälder sind weiterhin nicht geschützt und können jederzeit abgeholzt werden.

Die Regelungen zum Schutz der Primärwälder im „Nationalen Katalog der Urwälder“ sind teilweise unklar und beinhalten potenzielle Schlupflöcher. So sind nach wie vor forstliche Massnahmen erlaubt, wenn sie dem Forstgesetz entsprechen – was theoretisch sogar Einschläge in Urwäldern  in strengen Schutzgebieten ermöglicht (Artikel 10)…

Die Kriterien für die Identifizierung von Urwäldern und Quasiurwälder für den Katalog sind partiell so streng formuliert, dass sie potentiell Schutzbestrebungen untergraben und Waldbesitzern und (unwilligen) Forstbehörden eine Handhabe geben, Urwaldschutz zu torpedieren: Der Ministerialerlass Nr. 3397 definierte die Kriterien so strikt, dass etliche wertvolle Waldgebiete  zwangsläufig vom Urwaldkatalog ausgeschlossen werden. Das „häufige Vorhandensein von Totholz“ etwa ist kein wissenschaftlich sinnvolles Muss-Kriterium für die Einstufung eines Waldes als „Urwald“. Ob es viel Totholz in einem Wald gibt, hängt von dessen Waldtyp, Standort und Geschichte ab. Nach einer flächigen Störung, etwa einem Windwurf, kann ein homogener, gleichaltrigenr Wald entstehen, der nach eine gewissen Zeit kein Totholz mehr aufweist. Optisch ähnelt das möglicherweise einem Wirtschaftswald, ökologisch ist es aber ein höchst schützenswerter Urwald…

Auch das Muss-Kriterium: „natürliche Grenze“ ergibt als Ausschliessungskriterium keinen tieferen ökologischen Sinn.  Sicher, wenn es derartige natürliche Grenzen gibt (etwa ein Fluss, Bergrücken, Felswand usw.), dann ist das von Vorteil, weil es den Wald abgrenzt und schützt. Andererseits weist aber kein einziger der streng geschützten Urwälder bzw. Naturwälder in Deutschland, Österreich oder der Schweiz durchgehend derartige „natürliche Grenzen“ auf. Würde die rumänische Bestimmung also in diesen Ländern  angewendet werdem, wäre keiner der letzten alten Wälder in diesen Ländern unter Schutz…

2017: Gefährlicher Rückschlag für den Urwaldschutz

Im Juni 2017 sorgte eine Presseaussendung des rumänischen Ministeriums für Wald und Wasser für Irritation und Proteste: Die Pin Matra-Urwaldinventur würde gar nicht existieren, „niemand hat sie, niemand kennt sie“, war da im Pressetext zu lesen. Die rumänische Urwaldschutzgesetzgebung, die sich stark auf diese Studie (basierend auf einer rumänisch-niederländischen Kooperation im Rahmen des Pin Matra-Projektes) bezieht, müsse daher völlig neu aufgesetzt werden. Dies würde natürlich unweigerlich zu einer massiven Schwächung des Waldschutzes führen. Rumänische Umweltschützer reagierten entsprechend empört und bezeichneten diesen Vorstoß als unverblümten Anschlag auf den Naturschutz: „Die lobbygesteuerte Politik der Fehlinformation und die daraus resultierenden Verbrechen gegen die Natur schaden dem Ruf Rumäniens. Unsere einzigartigen Urwälder werden Tag für Tag mehr zerstört. Diejenigen, die die Abholzung vorantreiben dürfen nicht die Macht haben, das Ministerium von seinen Verpflichtungen abzuhalten“, meinte Gabriel Paun, Präsident von Agent Green.

Doch es blieb nicht dabei: Die PSD-(soialdemokratisch) geführte Regierung sprach sich für eine massive Erhöhung des Holzeinschlages aus und . Im September 2017 sagte Wald-Staatssekretär Istrate Ștețco in einem Gespräch mit Euronatur und Agent Green, dass es er überzeigt sei, dass es nur mehr maximal 35.000 Hektar Urwald (gemäß der gesetzlich definierten Kriterien) in Rumänien gäbe. Ähnliche Aussagen waren bereits zuvor von anderen Stimmen aus dem Forstsektor zu hören gewesen: es gäbe Urwald in Rumänien, aber nicht sehr viel. Umweltschützer und „Urwaldprofessoren“ würden Urwälder quasi erfinden.

Die Schätzungen von Experten und Umweltschützern liegen freilich bei über 100.000 Hektar an höchst schützenswerten Waldgebieten… Anscheinend wird hier seitens der Forstindustrie mit „alternativen Fakten“ hantiert, um Verwirrung zu stiften und die Abholzungen vorantreiben zu können.

Deutsche Bundesstiftung Umwelt unterstützt Urwaldkartierung in Rumänien

Um die Unterschutztstellung von Urwäldern voranzutreiben und Rumänien bei der Umsetzung des „Nationalen Katalogs der Urwälder“ zu unterstützen hat die Deutsche Bundesstiftung Umwelt ein Kartierungs-Projekt gestartet. Deutsche Fördermittel ermöglichen erweiterte Kartierungsarbeiten durch rumänischen Experten.

Mehr dazu: Virgin & Old Growth Forests in Romania – Safeguarding European Biodiversity Heritage

Urwald im Fagaras Natura 2000 – Gebiet (Stramba-Tal): Dieser Zauberwald wurde 2005 als Urwald kartiert, wird aber trotzdem seit einigen Jahren sukzessive zerstört.