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Entdeckung einer illegalen Straße in einem der wildesten Gebirgstäler Europas – Rumänien

 

Illegale Straße durch das unberührte Sâmbăta-Tal in Rumäniens Făgăraș Montains Natura 2000-Gebiet

Vor einigen Wochen war das Sâmbăta-Tal (Provinz Sibiu) noch ein wahres Paradies: ausgedehnte alte Wälder, abgelegene Bergkämme, seltene Tiere (einschließlich Wölfen, Bären und Fischottern). Keine Straße führte durch das Tal, lediglich ein romantischer Wanderweg unter großen, mit Moos bedeckten Bäumen. Doch seit einigen Wochen gehört diese Idylle der Vergangenheit an: Ein lokaler Waldbesitzer grub mit einer Planiermaschine eine Straße entlang des einst klaren Flusses, der durchs Tal führt. Hierbei zerstörte er die vorher mit wilden und artenreichen Bergwäldern bedeckten Ufer und Hänge.
Dies ist jedoch nur der Anfang: Voraussichtlich werden bald Forstmaschinen in das Tal eindringen. Durch die brutal in den Wald geschnittene Straße haben sie einen verbesserten Zugang zu den großen alten Bäumen, die dort seit Jahrhunderten wachsen. Somit könnte dieser Märchenwald, der an Filmszenen aus Peter Jacksons „Herr der Ringe“ erinnert, bald verschwunden sein. Tragischerweise ist Sâmbăta nicht das einzige wilde Tal in Rumänien, das während der Corona-Krise trotz starker Ausgangsbeschränkungen illegal zerstört wurde.

Lokale Aktivisten*innen entdeckten die neue Straße und forderten eine Inspektion durch Beamte der Forstbehörde in Brasov. Deren Reaktion überraschte und schockierte die Aktivisten*innen: Es seien keine Genehmigungen erforderlich, da (angeblich) bereits eine alte Straße existierte, die nur repariert wurde. Diese Behauptung widerspricht eindeutig den Tatsachen: Bilder aus früheren Jahren beweisen, dass es keine Straße gab; stattdessen unberührte Wildnis mit Bergahorn, Buchen und Fichten. Auch die Karten des Gebiets zeigen keine Straße.
Dies lässt die Frage offen, warum die Forstbeamten diese nicht genehmigte Straße verteidigen und warum sie den lokalen Waldbesitzer, der dieses illegale Projekt vorangetrieben hat, decken.
Sehr fragwürdig ist auch, dass dies in der Zeit geschah, in dem die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren wegen vorsätzlicher und systematischer Verstöße gegen die EU-Gesetzgebung durch weitverbreitete Abholzung und Zerstörung natürlicher Ökosysteme in Natura 2000-Gebieten gegen den rumänischen Staat eingeleitet hat. Die Natura 2000- Vorgaben (FFH- und Vogelschutzrichtlinie) verlangen, dass vor jedem Eingreifen in diese Schutzgebiete obligatorische Umweltprüfungen durchgeführt werden müssen, um das Risiko einer Verschlechterung des ökologischen Erhaltungszustands der aufgeführten Lebensräume und Arten auszuschließen.

Bisher bekannte Fakten:
Die neue unbefestigte Straße erstreckt sich über ca. 1,5 km, ist 3-4 m breit und wurde zwischen März und Mai 2020 gebaut.
Sie verfügt weder über eine Baugenehmigung und eine angemessene Umweltprüfung, noch über die Zustimmung des Natura 2000-Standortverwalters zu Arbeiten in geschützten Lebensräumen. Auch fehlen die Genehmigungen der Waldwache zum Abholzen in Gebieten, die im Rahmen der Pin Matra-Studie als „Urwälder“ kartiert wurden, und des Umweltministeriums für Waldarbeiten in Gebieten, die offiziell für Einschlussstudien in das Schutzsystem des „Nationalen Katalogs der Ur- und Quasi-Urwälder“ vorgeschlagen wurden. Es ist eine lange Liste auffälliger Beweise für offensichtliche Verstöße gegen die Gründe für die Ausweisung dieses sehr geschützten Gebiets.
Die Arbeiten wurden durchgeführt, ohne dass die lokale Bevölkerung darüber informiert wurde.
Das Tal beherbergt große Gebiete alter Wälder mit hohem biologischem Wert (erforscht im Rahmen des Projekts REMOTE Primary Forests).

Laut der NGO Agent Green ist dies die Liste der illegalen Handlungen/Aktivitäten:

1. Unerlaubter Straßenbau ohne ordnungsgemäße Baugenehmigung
2. Unerlaubter Straßenbau ohne ordnungsgemäße Umweltprüfung
3. Unerlaubter Straßenbau ohne Zustimmung des Zuständigen des Natura 2000-Gebiets
4. Illegale Änderung der Landnutzungskategorie von Wald zu Straße
5. Störung des Waldökosystems und geschützter Arten durch den Straßenbau
6. Nicht autorisierter Straßenbau in Waldbeständen, die in der Studie „Pin Matra“ als Urwälder identifiziert wurden
7. Unerlaubte Schäden an Natura 2000-geschützten Lebensräumen und Arten, wobei die gesetzliche Verpflichtung zur Durchführung einer angemessenen Bewertung vor jedem Eingriff ignoriert wurde (Bewertung der möglichen Auswirkungen auf die Natur)
8. Unerlaubte Straßenbau durch das Flussbett des Sâmbăta und seiner Nebenflüsse
9. Zerstörung des Bodens und Versetzung von Felsen am Rande von Wasserläufen und im Wald
10. Zurücklassen gefällter Bäume im Flusslauf und in Bächen
11. Nicht autorisierte Abholzung von Bäumen in vorrangigen Natura 2000-Lebensräumen, in Pin Matra-Polygonen und in potenziellen Urwäldern, die in der offiziellen Liste des Umweltministeriums aufgeführt sind
12. Schädigung des Status geschützter Arten und Lebensräume

Im Zusammenhang mit dem EU Vertragsverletzungsverfahren gegen Rumänien wegen Waldnutzung in geschützten Lebensräumen ohne angemessene Bewertung ist es sehr besorgniserregend, dass die neue Straße sogar durch potenzielle „vorrangige Lebensräume“ gebaut wurde, die in der gesamten EU streng geschützt sind – insbesondere: 91E0 * – Erlen-Eschen- und Weichholzauenwälder und 9180 * – Schlucht- und Hangmischwälder (Tilio-Acerion).

Darüber hinaus wurde die illegale Straße direkt durch die Lebensräume mehrerer geschützter Arten wie etwa Wolf und Fischotter gebaut, Zielarten des ausgewiesenen Natura 2000-Gebiets. Außerdem wirkt sich der Straßenbau stark auf den Sâmbăta Fluss aus und hat damit auch negative Auswirkungen auf die dort lebenden Fischarten, wie beispielsweise die Groppe.

Agent Green wird Beschwerden gegen den Straßenbau einreichen. Wir sind überzeugt, dass die Umweltwache und die Nationale Agentur für Naturschutzgebiete direkt dafür verantwortlich sind, diese eindeutigen Gesetzesverstöße zu untersuchen und diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die den Straßenbau zu verantworten haben. Zudem müssen die Verantwortlichen dafür Sorge tragen, das betroffene Gebiet wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen.
Dieses skandalöse Beispiel unterstreicht auch die dringende Notwendigkeit einer EU-Intervention, da die rumänischen Behörden offenbar weder in der Lage noch bereit sind, solche Umweltverbrechen zu bekämpfen.