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Es braucht eine ökologische Waldwende in Europa

Kommentar von Matthias Schickhofer (Strategie-Berater bei Stiftung EuroNatur, Buchautor und Fotograf, Österreich)

Die Welt starrt entsetzt auf Satellitenbilder mit tausenden Waldbränden in Amazonien. Doch auch unseren Wäldern geht es nicht gut. Klimakrise und Abholzungen nagen an den Baumbeständen: Fichtenforste brechen auf großer Fläche wegen Trockenheit, Hitze, Waldbränden und Borkenkäferbefall zusammen. In in Osteuropa lassen Gier und Korruption unsere letzten Naturwälder verschwinden.

In Deutschland hat kürzlich ein „Waldgipfel“ statt gefunden. Die Wälder dort bieten nämlich ein deprimierendes Bild: Bei Bahnfahrten in den vergangenen Wochen konnte ich kaum mehr lebende Fichten oder Kiefern ausmachen. Die Trockenheit hat zu einem Massensterben von Nadelbäumen geführt. Sogar Laubwälder (v.a. in „durchforsteten“ / aufgelockerten Beständen oder auf Trockenstandorten) schwächeln. Offenbar sind sie an so eine Hitze bzw. den Wassermangel nicht ausreichend angepaßt. Fachleute und Waldbesitzer stehen erschüttert und ratlos vor großen Kahlflächen, die einst gewinnbringende Aufforstungen waren.

Das „Waldsterben 2.0“ löst nun heftige Kontroversen aus: Ist die Hardcore-Forstwirtschaft (Kahlschläge und nachfolgende Plantagen-Aufforstungen) mitverantwortlich für die Misere? Braucht es eine ökologische Richtungsänderung? Oder reicht es, die sterbenden Fichten- und Kiefernbestände durch andere „Brotbäume“ (wie Douglasien) zu ersetzen?

Die Diskussion ist aufgeheizt und mitunter fast ein wenig hysterisch. Die Waldkrise bewegt Deutschland. Sogar der „Spiegel“ titelte damit.

Forstindustrie-Vertreter fordern Milliarden für die Borkenkäfer-Bekämpfung und für Aufforstungen mit trockenresistenten Baumarten. Manche wollen gar „alte“, naturnahe Mischwälder gezielt abholzen, weil vom Totholz angeblich Gefahr für die Wirtschaftsforste ausgeht. Naturschützern wird unterstellt, dass sie die Forstwirtschaft abschaffen wollen. Und die Bundeswehr hat Berichten zufolge schon Borkenkäfer-Bäume gesprengt.

Viele Waldökologen und NGOs reagieren auf diese Entgleisungen mit Entsetzen. Sie sehen die Baumkrise als einen ökologischen Weckruf. Statt neue Monokulturen anzupflanzen, brauche es eine ökologische „Waldwende“: Nadelholzforste sollten in Laubmischwälder umgewandelt, Kahlschläge unterbunden, kühl-schattige Mischbestände bewahrt, Naturverjüngung gefördert und die noch vorhandenen Naturwälder erhalten werden. (Die Forstwirtschaft abzuschaffen fordert aber niemand.)

Im heimatlichen Österreich ist das Thema Waldkrise hingegen eher ein Nebenschauplatz und kam im vergangenen Wahlkampf so gut wie nicht vor.

Dabei sind die Wälder Mitteleuropas von enormer Bedeutung: Ohne ausreichende Waldbedeckung drohen verheerende Wasserknappheit (Wälder sind die wichtigsten Pufferspeicher) oder Überflutungen (bei Starkniederschlägen). Im Alpengebiet führt Waldverlust zu mehr Steinschlag, Muren, Lawinen oder „Flash-Floods“ im Tal.

Die Waldverwüstung in Amazonien schockiert. Verständlicherweise.
Aber wie steht es um die natürlichen Wälder Mitteleuropas? Gehen wir mit unseren natürlichen Wäldern sorgsamer um?

Die meisten der noch übrigen Naturwälder Mitteleuropas wachsen in den Karpaten (v.a. in Rumänien) und am Balkan. Doch sie verschwinden rasant in riesigen Säge- und Spanplattenwerken. In den Wäldern Skandinaviens klaffen riesige Kahlschläge.

Auch in Österreich gibt es noch herrliche Naturwälder. Allerdings weiß niemand genau, wo sie sich befinden, weil sie nämlich noch nie umfassend kartiert wurden. Ihre Bewahrung ist daher eine eher erratische Angelegenheit. Manche wertvolle Naturwälder haben das nicht überlebt.

Im Mai 2019 hat der UN-Weltbiodiversitätsrat (IPBES) in einem Report festgestellt, dass die Erhaltung der intakten Ökosysteme ebenso überlebensrelevant ist, wie die Milderung der Klimakrise. Wälder spielen dabei eine zentrale Rolle – als Speicher von Kohlenstoff und Wasser sowie als Lebensraum für unzählige vom Aussterben bedrohte Arten. Natürliche, vielfältige und geschlossene (schattige) Wälder sind außerdem widerstandsfähiger gegen Trockenheit, Hitze und Stürme. Daher werden wir noch froh sein über jeden Quadratmeter an intaktem Naturwald, wenn die Klimakrise unsere Forste zusehends dahinrafft …

Aber: Nur mehr 4% der Wälder Europas sind in einem naturnahen Zustand. Und selbst diese kümmerlichen Reste schwinden.

In Rumänien gibt es noch mehr als eine halbe Million Hektar Natur- und Urwald. Noch. In den letzten 15 Jahren wurden bereits mehr als 100.000 Hektar Natur- und Urwald zerstört. Damit sind diese wertvollen Ökosysteme auf Jahrhunderte ruiniert. Aus den Kahlhiebssflächen entweichen dann große Mengen CO2.

Die Waldzerstörung in Rumänien (oder auch in der Slowakei) schreitet rasch voran. Besonders von den (mitunter illegalen) Einschlägen betroffen sind Nationalparks und Natura 2000-Schutzgebiete. Die NGOs EuroNatur, Client Earth und Agent Green haben daher kürzlich eine EU-Beschwerde gegen die rumänische Regierung in Brüssel eingebracht. 2018 hat der EUGH die Abholzungsorgie im polnischen Bialowieza-Natura 2000-Gebiet nach einer ähnlichen Beschwerde gestoppt, weil das EU-Recht Verschlechterungen für geschützte Habitate und Arten in diesen EU-Schutzgebieten verbietet. Die Umsetzung von Natura 2000 im Forstbereich ist in vielen EU-Staaten mangelhaft.

Nun gerät ausgerechnet der „Klimaschutz“ mit dem Waldschutz in Konflikt: Biomasse-Verbrennung als Ersatz für fossile Brennstoffe gilt als „erneuerbarer Energieträger“. Unsere letzten Naturwälder (v.a. in Osteuropa) leiden unter dem zunehmenden Abholzungsdruck, weil nun auch „schlechtes“ Holz aus alten Wäldern viel Geld wert ist.

Während langlebige Holzprodukte oder die energetische Nutzung von Pflanzenabfällen durchaus hilfreich in der Klimakrise sein können, zweifeln viele Experten jedoch die „Klimaneutralität“ des Verbrennens von Bäumen stark an.
Eine aktueller Report der EASAC (Verband der Europäischen Akademien der Wissenschaften) findet deutliche Worte: Verbrennung von Holz-Biomasse sollte nicht als „erneuerbare Energiequelle“ in Klimaberechnungen berücksichtigt werden, weil es kurzfristig nicht klimaneutral sei. Es dauert demnach zu lange bis die CO2-Emissionen aus der Holzverbrennung wieder durch nachwachsenden Wald re-absorbiert werden.

Laut Pariser Klimaabkommen müssen wir bis 2050 Klima-Neutralität erreichen. Je nach Alter der verbrannten Wälder dauert es Jahrzehnte bis Jahrhunderte bis die beim Verbrennen emittierte Kohlenstoffmenge wieder in Bäumen und Böden gebunden ist.

Die schwedischen Professoren Göran Englund, Stig-Olof Holm, Bengt-Gunnar Jonsson und David van der Spoel veröffentlichten kürzlich einen aufsehenerregenden Text in der Tageszeitung „Dagens Nyheter“: Die Forstwirtschaft könne zwar langfristig als kohlendioxidneutral gesehen werden, kurzfristig nütze das aber nichts. „Heute und kurzfristig spielt es keine Rolle, ob das Kohlendioxid aus fossilen Brennstoffen oder aus Biokraftstoffen stammt.“ Ihren Berechnungen zufolge würden die Klima-Auswirkung der schwedischen Holzernte eines Jahres (mit anschließendem Verbrauch) 13-mal höher als die Emissionen aller Flüge bzw. 8-mal höher als die gesamten Emissionen des Straßenverkehrs in Schwedens sein.

Werbeaussagen der Forstindustrie, wonach nur „bewirtschaftete Wälder“ segensreich für den Klimaschutz sein sollen, dürften daher eher ins Reich der alternativen Fakten zu verweisen sein. (Hoffentlich hat Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro diese Werbeinserate nicht bemerkt, sonst muss noch mehr „unbewirtschafteter“ Amazonaswald daran glauben…)

Die Klimakrise hat die Forstwirtschaft also erreicht.

Bei „FridaysForFuture“ marschierten kürzlich auch Mitglieder des Bundes Deutscher Forstleute mit. Das ist gut.

Bis zur einer umfassenden ökologischen Waldwende ist es aber noch ein längerer Weg. Die bevorstehende Regierungsbildung in Österreich bietet jedoch die Chance, das forstliche Ruder in Richtung naturnahe Waldbewirtschaftung und Naturwaldschutz herum zu reißen: Die ökologische Waldwende muss im nächsten Regierungsprogramm deutlich verankert werden.
Es bleibt zu hoffen, dass den politischen Verhandlungsteams klar ist, dass es sich hier um ein „systemrelevantes“ Thema und nicht um Liebhaberei handelt. Hier geht es auch nicht um Ideologie, sondern um Überlebensfragen für unsere Kinder.

Ökologisches Krisengebiet: Kahlfläche nach Räumung einer naturfernen Fichtenkultur mit Borkenkäferbefall (Niederösterreich).
Klimakrise im Forst: Borkenkäferlarven in einem Fichtenbestand (Österreich).
Tod durch Hitze und Dürre: Forstkulturen brechen flächig zusammen. Falsche Baumarten-Bestockung vor 50-100 Jahren rächt sich.
Naturnahe Waldbewirtschaftung (Österreich): Ungleichaltrige, angepasste Mischbestände. Verjüngung mit Tanne und Laubbaumarten. Dauerhafte Waldbedeckung…
Artenreiche, vielfältige, strukturierte, beschattete Naturwälder: Die „echten“ Wälder Europa’s sind widerstandsfähiger gegen Klimastressoren. Wir werden sie in Zukunft noch alle brauchen…