Aufdecker-Video: Urwaldzerstörung in Rumänien ist Europas größtes Umweltdrama

EuroNatur und Agent Green veröffentlichen investigative Doku-Serie „Out of Control”

Die meisten der letzten Urwälder der EU sind in Rumänien zu finden. Sie sind jedoch durch kommerziellen Holzeinschlag unmittelbar bedroht. Selbst in Nationalparks und Natura 2000-Gebieten wird in uralten Wäldern geholzt, so berichten die Umweltorganisationen EuroNatur und Agent Green. Heute veröffentlichen die beiden NROs die erste Episode der investigativen Online-Dokumentarserie „Out of Control“, die Beweise für eine akute und brutale Abholzung von Urwäldern im Domogled-Valea Cernei Nationalpark zeigt.

Ermittler von Agent Green haben das letzte unberührte Tal des Parks besucht, das im vergangenen Frühjahr von Wald- und Parkbehörden für die kommerzielle Abholzung freigegeben wurde und skandalöse Verwüstungen unberührter Natur entdeckt.

 „Die Zerstörung von Urwäldern in Rumänien ist heute das größte und dringlichste Naturschutzdrama Europas. Aber das merkt kaum jemand“, sagt Gabriel Schwaderer, Geschäftsführer der EuroNatur Stiftung. „Wenn jetzt nichts unternommen wird, werden viele dieser wertvollen Wälder in den nächsten zwei bis drei Jahren verschwinden“, erklärt Gabriel Paun, Präsident von Agent Green. EuroNatur und Agent Green fordern die rumänische Regierung auf, den kommerziellen Holzeinschlag in allen rumänischen Nationalparks sofort zu stoppen, alle Ur- und Altwälder in Nationalparks in die sogenannten Kernzonen einzubeziehen und ein modernes, unabhängiges und gut finanziertes Nationalparkmanagementsystem einzuführen. Auch die EU müsse sich aktiv dafür einsetzen, dieses wertvolle europäische Naturerbe zu erhalten.

Bewusste Zerstörung in rumänischen Nationalparks

In den rumänischen Nationalparks werden jahrhundertealte Bäume für Produkte wie Holzwerkstoffe, Brennholz und Zellstoff gefällt. In der überwiegenden Mehrheit dieser „geschützten Gebiete“ findet kommerzieller Holzeinschlag statt. So werden große Flächen mit wertvollen, artenreichen Urwäldern vernichtet. Das Abholzen geschieht mit Genehmigung der Nationalparkverwaltungen und direkt vor den Augen der Regierung. 12 von 13 Nationalparks in Rumänien erfüllen nicht die internationalen Schutzkriterien. Diese verbieten ausdrücklich die industrielle Ausbeutung von Ressourcen. 

Der rumänische Staat bietet keine Grundfinanzierung für die Nationalparks. Die meisten Nationalparks und Naturparks werden von der rumänischen staatlichen Forstgesellschaft Romsilva verwaltet und finanziert. Umweltschützer und Wissenschaftler beklagen, dass Romsilva Profit vor Naturschutz stellt.

Abholzen alter Wälder für Billig-Produkte?
Während alte Waldbestände den höchsten Erhaltungswert aufweisen, sind sie wirtschaftlich von niedrigstem Wert und entsprechen der sogenannten „Brennholzqualität“. Ein Teil des Holzes endet in massiven Möbeln, das meiste allerdings wird zu Holzplatten und Feuerholz.
Kürzlich hat die rumänische Holzindustrie mit Unterstützung der Regierung eine angebliche „Brennholzkrise“ beschworen. Diese „Brennholzkrise” rechtfertige die Abholzung alter Wälder, um zu verhindern, dass die Menschen im Winter erfrieren. Nur etwa 3 Prozent der 6,5 Millionen Hektar Wald in Rumänien gehören zum Altbestand oder gelten als unberührt. „Zu argumentieren, dass wir uralte Wälder wegen einer plötzlichen ‚Brennholzkrise‘ zerstören müssen, ist eine bewusste Manipulation der Wahrheit. Es gibt viele degradierte Wirtschaftswälder im Land, in denen die Gewinnung von Brennholz weniger Auswirkungen auf die biologische Vielfalt hätte und nicht gegen Naturschutzverpflichtungen verstoßen würde“, sagt Gabriel Paun.



Rumänische Regierung und EU müssen unverzüglich Maßnahmen ergreifen
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EuroNatur und Agent Green fordern von der rumänischen Regierung:

– die Vergrößerung der Kernzonen der Nationalparks nach internationalen Standards (mindestens 75 Prozent der Fläche).

- den Stopp des kommerziellen Holzeinschlags in allen rumänischen Nationalparks.
- alle Primär- und Altwälder in Nationalparks in den Kernzonen einzubeziehen.

– die Verabschiedung eines modernen und unabhängigen Nationalparkmanagementsystems nach Best-Practice-Modellen wie in Schweden, Deutschland oder Österreich.

– privaten Waldbesitzern innerhalb der Nationalparkgrenzen eine angemessene Entschädigung zu gewähren.

– Maßnahmen zu ergreifen, um eine wirksame Strafverfolgung in Rumänien sicherzustellen.

Download – Hintergrund-Dossier:
BACKGROUND-DOSSIER – OUT OF CONTROL – The tragedy of logging in Romania’s national parks

Intakte, aber ungeschützte Urwälder im Domogled – Valea Cernei National Park.

Film-Synopsis: Außer Kontrolle (Out of Control)
 – Episode # 1: Domogled Nationalpark
Der Domogled – Valea Cernei Nationalpark ist der größte Nationalpark Rumäniens mit 62.000 Hektar seltener Schönheit. Er ist ein Refugium für Flora und Fauna. Der Park erstreckt sich entlang des Flusses Cerna und der umliegenden Bergketten, die bis vor kurzem von weitgehend unberührten Buchen und Schwarzkiefern bewachsen waren. Der Domogled Nationalpark war einst Teil der letzten großflächigen intakten Waldlandschaft Europas in gemäßigtem Klima, aber große Gebiete unberührter Natur sind in letzter Zeit verloren gegangen. Alle Seitentäler des Nationalparks sind heute von Straßen durchzogen und es wird geholzt – bis auf ein Gebiet: der Talkomplex Radoteasa, Vlasia und Carbunele.

Nur 48 Prozent der Parkfläche sind im Moment unter strengem Schutz, darunter vor allem Alpwiesen, steile Hänge rund um die antike Stadt Baile Herculane sowie zwei Waldflächen, die seit Juli 2017 auch UNESCO-Weltnaturerbestätte sind. Abholzungen reichen bereits bis in die letzten unberührten Urwaldbestände und bis in die Nähe des alpinen Gebietes an der Baumgrenze.

Abholzung im letzten unberührten Tal des Parks.


Im April 2017 wurde auch der Holzeinschlag auch im Radoteasa-Vlasia Talsystem genehmigt. Danach ging es auch dem letzten noch völlig unberührten Tal mit wertvollem  Buchenurwald an den Kragen. Im Oktober 2017 stellten die Ermittler von Agent Green in großen Gebieten des ehemals unberührten Waldes am Südhang des Radoteasa-Tals gefällte Bäume und neue Forststraßen fest. Die Kamera dokumentiert die absichtliche Zerstörung vermeintlich geschützter Natur und massives Chaos: riesige Stümpfe von über 250 Jahre alten Buchen, industrielle Ölfässer, verrostete alte Holztransporter, die mitten im Wald verrotten. Forstarbeiter erzählten dem Filmteam, dass die Abholzungsfläche für den kommerziellen Holzeinschlag freigegeben worden sei, obwohl die Nationalparkverwalter sich der Existenz von Urwäldern in diesem Gebiet bewusst seien. Sie sagten, dass sie weiter fällen werden, solange die Wälder nicht unter Schutz stehen und Romsilva (die rumänische staatliche Forstverwaltung) und die Nationalparkverwaltung Genehmigungen für die Holzernte erteilen.



Das Untersuchungsteam wurde von einem Mitarbeiter von Romsilva begleitet, der bereit war, die Wahrheit hinter den sogenannten „legalen Ernteaktivitäten“ im Park zu enthüllen. Der Inspektor brachte das Untersuchungsteam in mehrere Urwälder mit einer reichen biologischen Vielfalt, die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten brutal zerstört wurden. In großer Trauer zitierte er seinen Großvater, der ihm kürzlich sagte: „Wir haben diese unberührten Wälder bewacht und jetzt habe ich gelebt, um zu sehen, wie sie sie zerstören.“



Nationalparkdirektor versteckt sich vor dem Filmteam

Das Untersuchungsteam wollte den Direktor des Parks mehrmals mit seinen Befunden konfrontieren. Aber der Beamte, der bei Romsilva angestellt ist, hat einige lächerliche Ausreden genutzt, damit er den Reportern nicht begegnen musste. Das gleiche passierte der Beauftragten der Umweltbehörde, die ebenfalls nicht mit dem Direktor des Nationalparks sprechen konnte, obwohl diesem zuvor eine offizielle Benachrichtigung zugesandt wurde.

UNESCO-Weltkulturerbe bedroht
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Teile des Domogled – Valea Cernei Nationalparks wurden im Juli 2017 vom UNESCO-Welterbekomitee in das UNESCO-Welterbe „Ur- und Altbuchenwälder der Karpaten und anderer Länder Europas“ aufgenommen. Der Park beherbergt den größten Anteil des rumänischen Beitrags zu dieser UNESCO-Weltnaturerbestätte. Der Rest des Nationalparks außerhalb der UNESCO-Kernzonen wurde als „Pufferzone“ ausgewiesen, die laut dem Welterbekomitee „mit der Zielsetzung verwaltet werden sollte, die langfristige Erhaltung des besonderen Charakters der ausgewiesenen Buchenwäldern und deren inhärente Eigenschaften zu gewährleisten“. Die Realität in Rumänien sieht anders aus: Natürliche Buchenwälder werden in der gesamten UNESCO „Pufferzone“ kontinuierlich zerstört und degradiert, darunter auch ganz aktuelle und massive Holzeinschläge in unmittelbarer Nähe der UNESCO-Kernzonen. Das Untersuchungsteam entdeckte kürzlich gefällte Baumstände in der Nähe der UNESCO-Fläche „Iauna Craiova“.



Einheimische und historisches Kulturland  vom Holzeinschlag betroffen

Der Domogled Nationalpark beherbergt auch uralte Kulturlandschaften von außergewöhnlicher Schönheit im Cernatal, in dem die Bewohner eine sehr traditionelle Lebensweise verfolgen. Dieses Kulturerbe, in dem Menschen seit Jahrhunderten in abgelegenen Dörfern in einem fein abgestimmten Gleichgewicht mit der Natur Subsistenzwirtschaft betreiben, ist nun ebenfalls bedroht. Der geplante Holzeinschlag wird ihre Lebensweise masisv beeinträchtigen. Im Video äußert einer der immer noch 24 Einwohner, die in elf Haushalten im Bergdorf Inelet leben, seine ernsthafte Besorgnis und Kritik an den Nutzungsplänen. Kommerzielles Fällen war in diesem Kulturerbegebiet nie erlaubt. Die neue Straße und die geplante Holzernte wird einen durchschnittlich über 200 Jahre alten Wald zerstören.

Alle rumänischen Nationalparks sind laut EU-Rechtsvorschriften Natura-2000-Gebiete. Dennoch werden die Urwälder entgegen den EU-Naturschutzrichtlinien gerodet. Daher müsse die EU-Kommission dringend Maßnahmen ergreifen, um die Natura-Richtlinien auch in Rumänien durchzusetzen und eine wirksame Bekämpfung von Naturschutzvergehen sicherzustellen.

 

Verwüstung des bis zum April 2017 unberührten Radoteasa Tals – in der Mitte des Domogled Nationalparks.